Links




OBRA 1999



Warum fahren wir nach Polen?

Seit dem Mauerfall vor 10 Jahren ist Polen unser direkter Nachbar. Dennoch ist Polen für viele von uns noch ganz weit weg. Wir wissen wenig über unser Nachbarland. Vorurteile sind in unseren Köpfen tief verankert: Werden wir nicht gleich nach der Grenze beklaut? Gibt es ausreichend Einkaufsmöglichkeiten, um eine ganze Gruppe mit Essen zu versorgen? Wie verständigen wir uns?

Um es vorweg zu nehmen, es hat alles hervorragend geklappt: Beklaut wurden wir nicht. Wir fühlten uns immer sehr sicher und wurden überall äußerst freundlich und sehr zuvorkommend aufgenommen. Ein sklep, ein Lebensmittelgeschäft fanden wir in fast jedem etwas größeren Dorf. Wo gibt es das noch in Deutschland? Sicherlich, das Angebot in diesen Geschäften war nicht immer sehr vielfältig und manches Regal war nach unserem Besuch leer. Die Supermärkte in den Städten dagegen ließen keine Wünsche offen. Die Verständigung fiel uns schon etwas schwerer, aber mit Händen und Füßen konnten wir Lehrer das Wichtigste regeln. Und wenn das nicht ausreichte, so halfen uns unsere polnischen Mitschülerinnen und Mitschüler weiter.

Die Bevölkerungsdichte in Polen ist sehr viel kleiner als in Deutschland und so finden wir in unserem Nachbarland einsame, naturbelassene und ursprüngliche Landschaften mit einer reichen Flora und Fauna. Auch gibt es mehrere attraktive Flüsse, die zum Teil Nationalparks durchfließen und nur wenige größere Ortschaften berühren. Dieses Erlebnis von Natur abseits von McDonalds und Burger King ist für viele unserer Jugendlichen eine besondere Herausforderung.

Einer dieser Flüsse ist die Obra. Sie liegt nur etwa 100 Kilometer hinter der polnischdeutschen Grenze. Unser gewählter Startort Zbaszyn und auch das Ziel Gorzow WIkp. liegen an wichtigen Bahnlinien, so dass die Anreise von Hamburg mit dem Zug einschließlich zweimaligem Umsteigen in weniger als 7 Stunden zu bewältigen ist.

Befahren haben wir die Obra mit zwei ZehnerKanadiern. Bei allen Vorteilen, die diese großen Boote für Gruppenfahrten bieten, so war ein Vorankommen auf den "naturbelassenen Urwaldstreckenabschnitten" mit den vielen umgestürzten Bäumen ein Erlebnis besonderer Art und sehr kräftezehrend.

Jan Evers




Überall, wo ich bin, da gehör ich hin ...

Ich wollte schon immer mal mit auf eine Kanutour fahren. Als ich dieses Mal erfuhr, wohin die Reise gehen sollte, war ich sofort dabei. Ich bin Kasia, 17 Jahre alt und komme aus Polen. Ich wußte es würde spannend werden, mein Land "auf deutsch" zu entdecken.

Eigentlich waren wir ein bunter Haufen verschiedener Nationalitäten und ich war gespannt, wie sich gegenseitig meine Gruppe und mein Land aufnehmen würden. Ich habe schon geahnt, dass einige von uns ein leicht verzerrtes Bild von Polen haben würden, aber es war schon übel und nicht leicht verdaulich, mir zehntausend mal die Frage anzuhören, ob es in der Stadt einen McDonalds oder Burger King gibt. Okay, Polen ist ein bisschen zurückgeworfen und bei einigen mag der Eindruck entstanden sein, dass es in Polen, im "wilden Osten" vielleicht kein Fastfood gibt und wenn, dann vielleicht nur gefälscht oder geklaut. Es gibt McDonalds, es gibt Burger King und es gibt sogar Centucky-Fried-Chicken.

Nun, aber so übel nehme ich ihnen die Frage nicht, auch ich habe in den ersten Tagen manchmal gedacht, dass wir fernab jeder Zivilisation gelandet seien, irgendwo am Ende der Welt, denn wir paddelten stundenlang durch die schöne Gegend, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Dadurch lernten wir uns näher kennen wie auf einer Art Gruppentherapie nach dem Motto: Wir sitzen alle im selben Boot. Die Menschen, die dort leben, wissen, dass in den Flüssen alle paar Meter ein Baum quer im Wasser liegt. Nur gut, dass wir kaum jemandem begegneten, so wurde uns die Peinlichkeit erspart, ausgelacht zu werden, wenn wir hängen blieben, durch, unter und über Bäume paddelten und uns die Seele aus dem Leib sägten. Ab und zu trafen wir auf einen Angler, winkten und grüßten, wobei einer auf deutsch zurück grüßte und sagte: "deutsch nicht vergessen".

Kontakt zum polnischen Volk hatten wir auch auf Campingplätzen. Auf einem wurden zwei paar Schuhe geklaut, die vorm Zelt standen. Endlich! Darauf haben doch alle gewartet. Das hat mich gefreut. Komisch, ist es nicht so, dass sich in einem berühmten hamburger Lied, die Hamburger damit brüsten, die Kunst des Klauens zu beherrschen, wie kein anderer? Text (auf hochdeutsch) "Klau'n, klau'n, Äppel wollen wir klau'n, ruck zuck über'n Zaun, ein jeder aber kann das nicht, denn er muss aus Hamburg sein." Und die Polen wissen gar nicht, dass über sie Polenwitze gemacht werden. Kennen sie den? Woran erkennt man, dass ein Pole auf dem Mond war? Der kleine Wagen ist weg.

Ja, ich hatte auch meinen Spaß, da ich unentbehrlich für die Reise war. Ich durfte übersetzen, und wurde überallhin gerne mitgenommen, vor allem zum Einkaufen. Manchmal weigerte ich mich, im Laden zu übersetzen und ein paar Schüler lernten live den Unterschied von Prosze (bitte) und Prosie (Ferkel) kennen. Jedoch nahm ich meine Aufgabe doch ernst und trug stets ein Wörterbuch bei mir.

Als wir einmal nachts hungrig und frierend nicht mit den Kanus weiterkamen, stecken blieben und im Irgendwo landeten und ich vom Handy aus die Polizei anrief und die Lage klären sollte, da stammelte ich, dass wir eine Gruppe Jugendlicher aus Hamburg seien und uns mit Kanus verirrt hätten. Das wurde ein sehr teures Gespräch, ich brauchte lange, um alles auf die Reihe zu kriegen. Dann durfte ich mit im Streifenwagen mitfahren auf der Suche nach unserem vorgefahrenen Lehrer. Cool, dass ich das einmal erleben durfte, eine Fahrt im polnischen Streifenwagen! An diesem Tag hatten wir alle genug von der Kanutour.

Am Ende kamen wir doch noch in der Stadt Gorzôw, unserem Zielort, an und alles war einfach gut, als wir hamburger Jungs und Deerns unseren Hamburger verdrückten. In der Stadt wurde kräftig eingekauft (für die Eltern eine Stange Marlboro). Die Mädchen gingen zum Friseur und die Jungs guckten den hübschen Polinnen hinterher. Diese müssen sie wirklich beeindruckt haben, denn als wir in Hamburg ankamen und eine Schönheit vorbeiging, rief einer: „Hey, wir sind wieder in Polen!“

Ich habe mir gesagt, dass ich nie wieder auf eine Kanutour mitfahren werde. Das sind die besten Fahrten, von denen man so etwas behauptet. Ich würde wieder mitfahren nach dem Motto: "Geh an deine Grenzen, es steckt viel mehr in dir als du glaubst!" Paddeln ist jetzt zu einer Art Extremsport für mich geworden. Außerdem habe ich gelernt, ein Zelt in 10 Minuten aufzubauen. Ja, ich würde wieder mitfahren, vorausgesetzt es geht wieder nach Polen.

Kasia Kandel



K A N U   U N D   K A J A K   A N   D E R   G S M